Warum wir das Internet ausdrucken – ein Vorwort

Axel Krommer, Martin Lindner, Dejan Mihajlović, Jöran Muuß-Merholz, Philippe Wampfler

Von den Blogs ins Netz

Wir, die Autoren dieses Bandes, kennen uns aus dem Netz. Genauer: In Gesprächen auf Twitter und in Blogs haben wir uns kennengelernt, diese Bekanntschaft in einigen Treffen auf Tagungen, Barcamps und Messen vertieft. Uns beschäftigen ähnliche Themen: Wir denken darüber nach, was das Netz und der digitale Wandel für Bildung und Gesellschaft bedeuten. Lernen, Schule und Unterricht betrachten wir aus einer Entwicklungsperspektive. Wir fragen uns, was der Einsatz von bestimmten Medien und Technologien möglich macht, was er verstärkt, was er erleichtert oder wo er Prozesse behindert. Was gesellschaftlich erstrebenswert oder bedenklich sein könnte. Darüber diskutieren wir offen und transparent im Netz. Unsere Einsichten und Ansichten halten wir schriftlich oder als Ton- und Videoaufnahmen in Blogs und in sozialen Netzwerken fest. Damit erreichen wir ein spezifisches Publikum: Diejenigen Menschen, die sich im Netz bewegen oder den Weg dorthin suchen und finden. Aber die meisten Lehrerinnen, Dozenten und Schulleitungen lesen im Netz nicht mit. Gleichwohl führen sie ähnliche Diskussionen. Für sie überführen wir unsere Arbeiten in ein Buchformat – wir drucken sozusagen das Internet aus. Wir buchifizieren unsere Blogs.

Diese Übertragung ist nicht ganz einfach: Die Texte sind ursprünglich als Netztexte konzipiert, arbeiten mit Verlinkungen, Einbettungen und netzspezifischen Kontexten. In diesem Band haben wir diese Eigenschaften von Netztexten versucht abzubilden – mussten dabei aber eine Reihe von Abstrichen machen. Hinzu kommt, dass das Internet bunt und vielfältig ist. Unsere, z.B. rein männliche, Zusammensetzung ist es nicht. Wir sind uns bewusst, dass viele Blickwinkel in diesem Band fehlen. Wir schreiben nicht aus der Perspektive von Lernenden oder Marginalisierten. Das ist ein Defizit, das wir in Kauf nehmen. Die Idee hinter dem Buch ist eine pragmatische: Wir möchten unsere Netz-Texte auch für Offline-Debatten verfügbar machen, um Perspektiven und Gedanken einzubringen, die bisher weniger auf Papier gedruckt wurden. Das gilt auch für den Sonderfall des akademischen Diskurses in Deutschland. Denn viele Wissenschaftler(innen), die selbst an den relevanten Online-Debatten nicht teilnehmen, halten „Texte aus dem Internet“ prinzipiell für minderwertig und unbedeutend. Mit unserem Buch transferieren wir unsere Argumente auch in die Welt dieser Wissenschaftler(innen) und es wird sich zeigen, welche Wirkung sie dort entfalten.

Ein Gegengewicht in einem einseitigen und vereinfachten Diskurs

Wir haben den Eindruck, dass in Deutschland eine skeptische Haltung gegenüber digitalen Medien dominiert – besonders, wenn es um Fragen des schulischen Lernens geht. Argumente, die Zusammenhänge unzulässig vereinfachen oder eingeschränkte Perspektiven auf Bildung, Lernen und digitale Kommunikation einnehmen, erhalten in Medien, Bildungspolitik und Lehrerzimmern aus unserer Sicht zu viel Beachtung. Besonders die Vorstellung, Lernen sei ein von Medien unabhängiger Prozess, ist stark verbreitet. Generell ist eine bewahrpädagogische Stimmung auszumachen: Digitales wird pauschal als Bedrohung wichtiger Kulturtechniken dargestellt, Lernen und Arbeiten mit digitalen Medien als minderwertig angesehen. Diese Stimmung verstellt den Blick auf die relevante Frage, wie Menschen die digitale Transformation mitgestalten können.

Weil wir die Wahrnehmung der Diskussion in der Öffentlichkeit für einseitig halten, bieten wir mit unserem Ansatz, Entwicklungen und Medienwandel kritisch, aber aufgeschlossen zu diskutieren, ein reflektiertes Gegengewicht zu den vorherrschenden Warnungen und Mahnungen an. Gleichzeitig sehen wir uns nicht als „Digital-Euphoriker“ oder „fröhliche Technokraten“. Wir kritisieren die Position der „Nike-Didaktik“, die das Credo „Just do it!“ auf dem Schild trägt und alleine im Einsatz von digitalen Medien einen Fortschritt wähnt. Entscheidend ist für uns, dass es nicht nur eine warnende, mahnende und bewahrende Position gibt, sondern auch eine aufgeschlossene und fordernde, die gleichzeitig nicht von Euphorie und Positivismus getrieben sein muss. Für uns stehen konkrete Phänomene im Mittelpunkt, nicht ihre Bewertung. Wie funktioniert Lernen, wenn es das Netz gibt? Welche Kompetenzen sind erforderlich, um im 21. Jahrhundert mündig zu leben? Dafür bieten wir Visionen an und machen Vorschläge, wie eine neue Lernkultur entstehen könnte, und wir versuchen aufzuzeigen, welche Sackgassen es zu vermeiden gilt.

Warum das Buch (trotzdem) „#digitaleBildung“ heißt

Der Ausdruck „Digitale Bildung“, der im Buchtitel vorkommt, bedarf einer Erklärung und Rechtfertigung, da er leicht missverstanden werden kann. Denn wenn von „digitaler Bildung“ (als Hashtag im Netz: #digitaleBildung) gesprochen wird, könnte man annehmen, dass das Digitale nur eine Art Zusatz wäre, der das Konzept von Bildung nicht wesentlich verändern würde. „Lernen bleibt Lernen!“, rufen die Anhänger dieser These und gehen dann auf die Suche nach dem Mehrwert digitaler Werkzeuge, mit denen sie Lernprozesse optimieren wollen. Im Web haben wir daher für unsere Diskussionen ganz bewusst den Ausdruck „zeitgemäße Bildung“ verwendet, um uns von dieser Fehlkonzeption terminologisch abzugrenzen und zu verdeutlichen, dass Bildung unter Bedingungen der Digitalität einen grundlegenden Wandel auf vielen gesellschaftlichen Ebenen impliziert. Gleichwohl bestimmt der Ausdruck „digitale Bildung“ weiterhin den Mainstream des öffentlichen Diskurses und der Begriff „zeitgemäße Bildung“ ist außerhalb einer kleinen Online-Community relativ wirkungslos geblieben. Die Entscheidung, den irreführenden Begriff „digitale Bildung“ als Buchtitel zu verwenden, ist daher strategisch zu verstehen: Wir wollen den Vereinfachern und Zuspitzern nicht das Feld überlassen, schließen an relevante gesellschaftliche Debatten an und versuchen, ein Verständnis von Bildung zu vermitteln, das letztlich die Fragwürdigkeit des Begriffes verdeutlicht.

Angebot und Anfang – analog und digital

Mit diesem Buch machen wir Ihnen das Angebot, in verschiedene Bereiche der aktuellen Diskussion einzutauchen und neue Argumentationen kennenzulernen. Das Buch ist ein Sammelband. Die Aufteilung und Reihenfolge der Texte ist ein sehr unverbindlicher Vorschlag für die Auswahl und Reihenfolge beim Lesen. Von jedem Text aus können Verbindungslinien zu anderen Texten gezogen werden. Mit welchem Text Sie die Lektüre beginnen, ist genauso Ihnen überlassen, wie die Entscheidung, wie Sie sich in der Diskussion über zeitgemäße Bildung positionieren.

Wenn es uns gelingen sollte, Menschen anzuregen, einen Blick ins Netz zu werfen, sich dort länger umzuschauen oder sogar niederzulassen, wäre auch unser letztes Ziel mit dem Buch erreicht. Im Netz finden Gespräche an verschiedenen Orten statt. Für uns uns sind das vor allem Twitter und Blogs. Sie werden über gemeinsame Schlagworte, die Hashtags, untereinander verbunden. Wir haben für dieses Buch den Hashtag #digitaleBildung gewählt. Wenn Sie also ins Netz gehen sollten, suchen Sie bei Twitter zum Beispiel nach dem Schlagwort #digitaleBildung oder auch nach #twittterlehrerzimmer oder nach #zeitgemäßeBildung. Falls es nicht nur allgemein um das Themenfeld, sondern direkt um dieses Buch geht, schlagen wir den Hashtag #RoutenplanerBuch vor, den wir als Autoren besonders im Augen haben. Wir freuen uns auf ein Gespräch!

Kathrin Passig und Lisa Rosa

Ein besonderer Dank geht an Kathrin Passig und Lisa Rosa. Auch sie sind im Netz zu Hause und gehören zu denjenigen, die den digitalen Wandel tiefgehend verstehen und analysieren. Sie sind Pionierinnen des deutschsprachigen Webs. Dass wir von beiden einen Text für dieses Buch übernehmen durften, ist uns eine Ehre.